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Persönlichkeitsstörungen
Persönlichkeitsstörungen treten erstmals in der Kindheit oder Adoleszenz in Erscheinung und manifestieren sich endgültig im Erwachsenenalter. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass etwa 10 % der Bevölkerung unter Persönlichkeitsstörungen leiden. Verschiedene Untersuchungen kommen dabei zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen bzgl. der Häufigkeit - die Spannweite reicht von 2 bis 18 %. Am häufigsten kommen mit je 3 % schizotype Störungen bei Frauen und antisoziale Störungen bei Männern vor. Histrionische Störungen betreffen 2 bis 3 % der Bevölkerung, Borderline etwa 2 %, paranoide Persönlichkeiten 0.5 bis 2 %, zwanghafte Persönlichkeitsstörungen 1 bis 1.7 %, narzisstische etwas weniger als 1 %, ängstlich vermeidende 0.5 bis 1 % (Peterson, 1997).
Persönlichkeitsstörungen beinhalten eine schwere Störung der charakterlichen Konstitution und des Verhaltens, die mehrere Bereiche der Persönlichkeit betrifft. Sie sind verbunden mit einem charakteristischen, individuellen Lebensstil und einem bestimmten Verhältnis zur eigenen Person und zu anderen Menschen. Persönlichkeitsstörungen umfassen anhaltende Verhaltensmuster, die zu starren = unflexiblen Reaktionen in unterschiedlichen persönlichen und sozialen Lebenslagen führen. Gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung liegen deutliche Abweichungen im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und den Beziehungen zu anderen vor. Dies führt zu einer gestörten sozialen Funktionsfähigkeit und in unterschiedlichem Ausmaß auch zu persönlichem Leiden. Persönlichkeitsstörungen sind durch einseitige und unflexible Interaktionsmuster gekennzeichnet, die zu Problemen in der Interaktion mit anderen Menschen führen und durch negative Rückmeldungen (Skepsis, Rückzug von dem Betroffenen) weiter verstärkt werden. Damit einher gehen eine verzerrte Wahrnehmung und einseitige Ursachenzuschreibung. So führt das misstrauische, ablehnende Verhalten Verhalten einer Person mit paranoider Persönlichkeitsstörung zu einer Ablehnung durch andere, was wiederum als Beleg für die eigenen Erwartungen interpretiert wird. Wichtig ist auch hier, dass "gestörte" und "gesunde" Persönlichkeit keine voneinander getrennten Kategorien sind, sondern extreme Pole auf einem Kontinuum. Letztlich ist jeder Mensch aufgrund seiner Anlagen und seiner Erfahrungen durch charakterliche Eigenheiten geprägt, die ihn in gewisser Weise in seiner Flexibilität bei der Bewältigung von Alltagssituationen einschränken. Von einer Persönlichkeitsstörung ist letztlich nur dann zu sprechen, wenn die charakterlichen Eigenheiten der Person zu subjektivem Leiden und/oder deutlichen psychosozialen Beeinträchtigungen führen.
Persönlichkeitsstörungen können analog DSM IV zunächst in drei Cluster eingeteilt werden:
Cluster A: "sonderbar und exzentrisch" - paranoide, schizoide und schizotype Persönlichkeitsstörung
Cluster B: "dramatisch, emotional, launisch" - Borderline, histrionische, antisoziale und narzisstische Persönlichkeitsstörung
Cluster C: "ängstlich und furchtsam" - selbstunsichere, abhängige, zwanghafte und passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung
Tabelle: Grundannahmen und Strategien in Verbindung mit Persönlichkeitsstörungen (nach Beck et al., 1993)
Störung |
Grundannahme/ Einstellung |
Strategie (sichtbares Verhalten) |
Überentwickelte Strategie |
Unterentwickelte Strategie |
Paranoid |
Menschen sind potenzielle Gegner. |
Vorsicht |
Wachsamkeit, Misstrauen, Argwohn |
Gelassenheit, Vertrauen, Anerkennung |
Schizoid |
Ich brauche viel Raum. |
Isolation |
Autonomie, Isolation |
Intimität, Gegenseitigkeit |
Antisozial |
Menschen sind dazu da, um ausgenutzt zu werden. |
Angriff |
Kampflust, ausbeuterisches Verhalten, Raubverhalten |
Empathie, Gegenseitigkeit, soziales Verhalten |
Histrionisch |
Ich muss imponieren. |
theatralisches Verhalten |
Expressivität, impressionistisches Denken |
Reflexion, Kontrolle, Systematisierung |
Narzisstisch |
Ich bin etwas Besonderes. |
Selbstverherrlichung |
Selbstverherrlichung, Konkurrenzverhalten |
Teilen, Gruppenidentifizierung |
Zwanghaft |
Ich darf keine Fehler machen. |
Perfektionismus |
Kontrolle, Verantwortung, Systematisierung |
Spontanität, Ausgelassenheit |
Selbstunsicher |
Ich könnte verletzt werden. |
Vermeidung |
Soziale Verletzbarkeit, Vermeidung, Hemmung |
Selbstbehauptung, Geselligkeit |
Dependent |
Ich bin hilflos. |
Anhänglichkeit |
Hilfesuchendes Verhalten, Anhänglichkeit |
Selbständigkeit, Mobilität |
Passiv-aggressiv |
Man könnte mich einschränken. |
Widerstand |
Autonomie, Widerstand, Passivität, Sabotage |
Intimität, Selbstsicherheit, Aktivität, Kooperation |
Zunächst muss eine Überprüfung der allgemeinen Kriterien für Persönlichkeitsstörungen vorgenommen werden, bevor die spezifischen Kriterien für einzelne Persönlichkeitsstörungen überprüft werden.
Allgemeine Diagnosekriterien für Persönlichkeitsstörungen
Von einer Persönlichkeitsstörung nach DSM IV ist zu sprechen, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
A. Überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten, merklich abweichend von den
Erwartungen der soziokulturellen Umgebung; manifestiert durch mindestens 2 Bereiche:
1. Kognition
2. Affektivität
3. Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen
4. Impulskontrolle
B. Dieses Muster ist unflexibel und tiefgreifend in einem weiten Bereich persönlicher und sozialer Situationen.
C. Dieses Muster verursacht klinisch bedeutsames Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
D. Dieses Muster ist stabil und langdauernd; der Beginn ist zumindest bis in die Adoleszenz oder das frühe Erwachsenenalter zurückzuverfolgen.
E. Dieses Muster ist nicht besser als Manifestation oder Folge einer anderen psychischen Störung erklärbar.
F. Dieses Muster geht nicht zurück auf Substanzgebrauch oder einen medizinischen Krankheitsfaktor (z.B Hirnverletzung).
Borderline Persönlichkeitsstörung
Bei einer Borderline Persönlichkeitsstörung nach DSM IV liegt ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten, sowie von deutlicher Impulsivität vor. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter und die Störung manifestiert sich in verschiedenen Lebensbereichen. Mindestens 5 der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:
1. Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.
2. Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den beiden Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.
3. Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.
4. Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, "Fressanfälle"). Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.
5. Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.
6. Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z. B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern).
7. Chronische Gefühle von Leere.
8. Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (z. B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen).
9. Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.
Anmerkungen:
a) 1,3,5,7,9 können auch von Depressionen erfüllt werden.
b) 1-3,5-9 können auch bei Schizophrenien auftreten.
c) 1-9 können auch in schizoaffektiven Psychosen auftreten.
d) 1-9 können auch bei schizoiden Persönlichkeitsstörungen auftreten.
e) 1-9 können auch bei narzisstischen Persönlichkeitsstörungen auftreten.
f) 1-9 können auch bei paranoiden Persönlichkeitsstörungen auftreten.
Zwanghafte Persönlichkeitsstörung
Von einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung nach DMS IV ist zu sprechen, wenn ein tiefgreifendes Muster von starker Beschäftigung mit Ordnung, Perfektion und psychischer sowie zwischenmenschlicher Kontrolle auf Kosten von Flexibilität, Aufgeschlossenheit und Effizienz vorherrscht. Die Störung beginnt im frühen Erwachsenenalter und zeigt sich in verschiedenen Situationen, gekennzeichnet durch mindestens 4 der folgenden Merkmale:
1. Beschäftigt sich übermäßig mit Details, Regeln, Listen, Ordnung, Organisation oder Plänen, so dass der wesentliche Gesichtspunkt der Aktivität dabei verlorengeht.
2. Zeigt einen Perfektionismus, der die Aufgabenerfüllung behindert, z.B. kann ein Vorhaben nicht beendet werden, da die eigenen überstrengen Normen nicht erfüllt werden.
3. Verschreibt sich übermäßig der Arbeit und Produktivität unter Ausschluss von Freizeitaktivitäten und Freundschaften (nicht durch offensichtliche finanzielle Notwendigkeit bedingt).
4. Ist übermäßig gewissenhaft, skrupulös und rigide in Fragen von Moral, Ethik oder Werten (nicht auf kulturelle oder religiöse Orientierungen zurückzuführen).
5. Ist nicht in der Lage, verschlissene oder wertlose Dinge wegzuwerfen, selbst wenn sie nicht einmal Gefühlswert besitzen.
6. Delegiert nur widerwillig Aufgaben an andere oder arbeitet nur ungern mit anderen zusammen, wenn diese nicht genau die eigene Arbeitsweise übernehmen.
7. Ist geizig sich selbst und anderen gegenüber; Geld muss im Hinblick auf befürchtete künftige Katastrophen gehortet werden.
8. Zeigt Rigidität und Halsstarrigkeit.
Von einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung sind etwa 2 % der Allgemeinbevölkerung betroffen. Sie kommt des weiteren zu 6 bis 9 % unter stationären psychiatrischen Patienten vor. Die zwanghafte Persönlichkeitsstörung ist zu unterscheiden von der Zwangsstörung und der dependenten Persönlichkeitsstörung. Die zwanghafte Persönlichkeitsstörung ist in besonderem Maße im Zusammenhang mit der generalisierten Angststörung, Phobien, depressiven und somatoformen Störungen vorzufinden.
Die zwanghafte Persönlichkeitsstörung wird als Folge eines überkontrollierenden, einengenden, übermäßig an Strafe orientierten Erziehungsstils angesehen. Dadurch erfolgt nur eine geringe Autonomieentwicklung. Stattdessen werden Regeln, Ge- und Verbote überbetont. Durch Befolgen der Regeln kann Strafe vermieden werden, gleichzeitig wird Unsicherheit reduziert, eigene aggressive Impulse können kontrolliert werden. Kognitiv neigen die Betroffenen v.a. zu einer Dichotomisierung, Katastrophisierung und Regelorientierung. Es besteht nur eine geringe Fähigkeit zur Problemlösung und dazu, hierarchisch zu abstrahieren bzw. zu fokussieren. Stattdessen sind Rückversicherung und Übersorgfalt zu beobachten.
Kognitives Profil der zwanghaften Persönlichkeitsstörung:
Schlüsselwort: Ordnung, Kontrolle
Selbstbild: Ich bin für mich selbst und andere verantwortlich, kann mich nur auf mich selbst verlassen. Dinge müssen möglichst perfekt sein, daher sind Ordnung und Struktur unverzichtbar.
Bild über andere Menschen: Andere sind zu nachlässig, verantwortungslos, zügellos, inkompetent
Grundannahmen: Ich brauche eine klare Ordnung, nur durch strenge Regeln und Kontrolle kann das einzig richtige Ziel erreicht werden.
Bedrohungen: Ängste vor Fehlern, Mängeln, Katastrophen, für Unzulänglichkeiten oder Unglücke zur Rechenschaft gezogen zu werden
Strategien: Regeln, Normen und Anforderungen aufstellen und strikt befolgen, andere ebenfalls dazu veranlassen
Affekte: geringer Ausdruck von Emotionen, eventuell Ärger, Enttäuschung und Angst vor negativen Folgen
Beispiele für dysfunktionale Kognitionen bei zwanghafter Persönlichkeitsstörung:
- Ich könnte ohne Halt sein. Deswegen brauche ich Ordnung, Systeme und Regeln, um zu überleben.
- Ohne Regeln und Riten bricht alles zusammen.
- Es gibt immer richtige und falsche Verhaltensmuster, Entscheidungen und Emotionen.
- Ein Fehler bedeutet eine Verfehlung.
- Ich muss ständig mich selbst und meine Umgebung unter Kontrolle haben.
- Ich weiß, was das Beste ist. Du musst es so tun wie ich!
- Die Leute sollten Besseres leisten und sich mehr Mühe geben.
- Menschen sollten kritisiert werden, damit in Zukunft keine Fehler mehr gemacht werden.
Psychotherapie:
Patienten mit einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung kommen oft nicht wegen der Persönlichkeitsstörung, sondern aufgrund von Angst-, depressiven oder psychosomatischen Störungen in die Therapie. Oft besteht anfangs eine große Erwartungsunsicherheit, da für Psychotherapie keine "Regeln" bekannt sind. Es besteht Angst vor Verlust von Kontrolle. Der Patient erwartet und erhofft klare Handlungsanweisungen sowie Fachkompetenz - und will andererseits ein "perfekter" Patient sein. Es ist daher zunächst wichtig, ein Erklärungsmodell der Störung zu vermitteln, um auf der rationalen, logischen Ebene einen Zugang zum Patienten zu erreichen und Fachkompetenz zu vermitteln. Der Therapeut muss sein Vorgehen klar strukturieren und darf nicht vorschnell spontane Lockerheit demonstrieren. Auf dieser Basis muss dann eine Förderung des emotionalen Erlebens erfolgen, inkl. des Ausdrucks auch unangenehmer Gefühle, der Entwicklung von Spontaneität und des "Loslassens". Schwierigkeiten der Therapie bestehen darin, dass die Schilderungen des Patienten oftmals umständlich und anstrengend sind. Es besteht die Gefahr von Machtkämpfen. Fortschritte erfolgen meist nur langsam.
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