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Hilfeverhalten: Warum erhalten Menschen in Notfallsituationen oftmals keine Hilfe?
Einleitung
Der Laie könnte vermuten, dass bei Anwesenheit vieler Personen in einer Notfallsituation auch viele einem Opfer helfen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Gerade bei Anwesenheit vieler potentieller Helfer in einer Notfallsituation schreitet oftmals niemand ein. Aber woran liegt das? Dies und anderes zum Thema Hilfeverhalten soll in diesem Beitrag thematisiert werden.
Zunächst einige Begrifflichkeiten: Der Begriff Hilfeverhalten ist relativ weitgefasst und umfasst jedwedes Verhalten, welches der Besserung der Situation eines Hilfeempfängers dient. Dies kann im Rahmen einer bezahlten beruflichen Tätigkeit z.B. als Altenpfleger oder Krankenschwester geschehen oder auch in einem privaten und sozialen Umfeld und ohne auf Bezahlung ausgerichtet zu sein. Prosoziales Verhalten beinhaltet, dass man anderen in der Erwartung hilft, dass einem selbst später auch geholfen wird. Ist das Hilfeverhalten primär uneigennützig, wobei der Helfende auch Nachteile für sich selbst in Kauf nimmt, so spricht man von Altruismus.
Manche Forscher vertreten dabei auch die Annahme, dass jegliches Hilfeverhalten egoistisch motiviert ist: Das Leid anderer erzeugt demnach negative Gefühle im Beobachter, was diesen dazu motiviert zu helfen, um den eigenen Gefühlszustand zu verbessern. Man kann allerdings auch wegsehen und verdrängen...
Die Entwicklung des individuelle Hilfeverhaltens hängt von sozialen Einflüssen ab, ist allerdings auch evolutionär-genetisch bedingt. Letzteres hat damit zu tun, dass es dem reproduktiven Erfolg dienlich ist, wenn Eltern ihren Kindern Hilfe zukommen lassen. Daher tun Eltern überwiegend sehr viel für ihre Kinder... während umgekehrt Kinder ihren Eltern nicht unbedingt in einem solch starken Maße (freiwillig) helfen. Allgemein steigt die Hilfsbereitschaft mit dem wahrgenommenen Verwandtschaftsgrad, der Gesundheit und der Fitness von Verwandten.
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Von Einfluss ist auch die Stimmung, in der man sich befindet. Hilfeleistung ist zum einen dann besonders wahrscheinlich, wenn man sich in einer guten Stimmung befindet. Dies kann damit erklärt werden, dass bei positiver Stimmung auch eher positive soziale Handlungsmuster aktiviert sind. Zum anderen bewirkt eine positive Stimmung auch eine optimistische Weltsicht, so dass man als potentieller Helfer auch in geringerem Maße auf mögliche negative Folgen einer Hilfeleistung achtet (dass man dabei selbst Verletzungen erleiden könnte). Allerdings kann u.U. auch eine negative Stimmung Hilfeleistung fördern - nämlich dann, wenn man durch die Hilfeleistung das eigene Selbstwertgefühl steigern kann (z.B. im Falle eines schlechten Gewissens).
Förderliche und hinderliche Bedingungen für Hilfeverhalten
Zum einen unterscheiden sich Menschen in ihrer persönlichen Bereitschaft zu helfen. Zum anderen hängt es von der Gestaltung der Situation ab, ob Menschen anderen in einer Notsituation helfen oder nicht. Es sind v.a. bestimmte Situationsmerkmale, die Hilfeverhalten hemmen oder fördern!
Weitere Zitate und Sprüche
Darley und Batson (1973) haben ein Experiment durchgeführt, in dem sie das freiwillige Hilfeverhalten von Theologiestudierenden untersuchten - in der Annahme, dass Theologiestudierende auch besonders hilfsbereit seien. Dabei wurden zwei Bedingungen variiert:
1. Eine Hälfte der Studierenden hatte sich mit der Parabel des barmherzigen Samariters (Lukas 10, 25-37) zu beschäftigen, wodurch das Thema Hilfeverhalten besonders in den Fokus gerückt werden sollte. Die andere Hälfte hatte sich als Kontrollgruppe mit Problemen des Berufs zu beschäftigen.
2. Nach dem Seminar mussten die Studierenden in einen anderen Raum wechseln, wobei der Zeitdruck in drei Stufen variiert wurde (wenig, mittel, viel Zeit).
Auf dem Weg zu dem anderen Raum trafen die Studierenden auf eine hilfebedürftige Person, die auf dem Boden lag. Gemessen wurde die Häufigkeit der Hilfeleistung.
Nun raten Sie mal, wie viel Prozent der Studierenden der vermeintlich hilfebedürftigen Person bei mittlerem Zeitdruck geholfen haben!
In dem Experiment zeigte sich zunächst ein Effekt für die Bedingung hilferelevanter Bibeltext vs. neutrales Thema. Den stärksten Einfluss hatte jedoch die Bedingung Zeitdruck! Hatten die Studierenden viel Zeit, so halfen 80 % der Studierenden, die sich vorher mit der Parabel des barmherzigen Samariters beschäftigt hatten, bei mittelmäßig viel Zeit waren es etwas unter 50 %, bei wenig Zeit etwas über 20 %. Von den Studierenden, die sich vorher mit dem neutralen Thema beschäftigt hatten, halfen noch weniger.
Dass gerade bei Anwesenheit vieler potentieller Helfer niemand hilft (sog. Bystander-Effekt), ist auf folgende Sachverhalte zurückzuführen:
- Pluralistische Ignoranz: Eine Notfallsituation ist etwas Außergewöhnliches und Neues. In einer neuen Situation versuchen wir zunächst, uns am Verhalten anderer zu orientieren, um zu erkennen, was in dieser Situation angemessen wäre. Wenn auch die anderen in dieser Situation nicht reagieren, dann schätzen wir die Situation als harmlos ein und gehen davon aus, dass ein Eingreifen nicht notwendig ist.
- Verantwortungsdiffusion: Bei Anwesenheit anderer reduziert sich die erlebte Verantwortung des einzelnen. Der einzelne denkt sich: Warum sollte ich helfen, wenn noch viele andere da sind, die das auch tun könnten?
- Angst vor Bewertung: Der einzelne mag eine gewisse Motivation haben, einem Opfer zu helfen. Aber er hat auch Angst, etwas falsch zu machen - umso mehr wenn auch andere anwesend sind, deren Bewertung er sich ausgesetzt fühlt. Wie lange liegt beispielsweise der Erste-Hilfe-Kurs zurück? Und was könnte man da alles falsch machen?
Ein bekanntes und dabei sehr erschreckendes für den Bystander-Effekt ist der Fall Kitty Genovese aus den USA, die 1964 in ihrem eigenen Wohnhaus einem Mordanschlag zum Opfer fiel. Während des Angriffs, der sich über mehrere Stunden hinzog, wurden 38 Personen Zeugen des Überfalls, von denen jedoch niemand dem Opfer half!
Nach einem Fünf-Stufen-Modell von Darley und Latané (1968) müssen fünf Bedingungen gegeben sein, damit Hilfeverhalten auftritt:
1. Das Ereignis muss wahrgenommen werden.
2. Das Ereignis muss so interpretiert werden, dass Hilfe notwendig ist (das Opfer muss seine Hilfsbedürftigkeit signalisieren und der Kontext muss für eine Notsituation sprechen).
3. Der Beobachter muss seine persönliche Verantwortung erkennen (reduziert sich bei Anwesenheit anderer).
4. Der Beobachter muss über geeignete Handlungsoptionen zum Helfen verfügen (z.B. Kenntnisse in erster Hilfe).
5. Der Beobachter muss eine Entscheidung zum Helfen treffen.
Jede dieser Stufen muss erfüllt sein, damit Hilfeverhalten auftritt. Ansonsten ist Hilfeleistung sehr unwahrscheinlich!
Was kann ein hilfebedürftiger Mensch in einer Notsituation tun?
Was eine hilfebedürftige Person in einer Notsituation tun kann:
1. Die Hilfebedürftigkeit deutlich machen: "Ich brauche Hilfe!"
2. Potenzielle Helfer persönlich ansprechen und ihre Verantwortung deutlich machen: "Ich brauche DEINE Hilfe!"
3. Den potenziellem Helfer zur Identifikation mit der eigenen Situation auffordern: "Versetze Dich in meine Lage!"
4. An Normen und soziale Erwartungen des potenziellen Helfers appellieren.
Es kann natürlich sein, dass man selbst aufgrund mangelnder Kenntnisse, Fähigkeiten oder aufgrund situativer Bedingungen zu einer Hilfeleistung nicht in der Lage ist. Allerdings kann auch ein Anruf mit dem Handy eine Hilfeleistung sein
Ein potentieller Helfer ist allerdings auch für sein eigenes Wohlergehen verantwortlich, sowohl was die körperliche Unversehrtheit anbelangt als auch im Hinblick auf weitergehende Folgen. Ein persönliches Einschreiten als Einzelperson in eine Schlägerei ist damit vielleicht nicht immer und unbedingt die geeignetste Methode des Helfens. Und es ist psychologisch beispielsweise auch nicht damit zu rechnen, dass eine von ihrem Mann geschlagene Frau im Falle eines Prozesses vor Gericht zugunsten eines Helfers aussagen wird. Hier müssen noch andere situative Merkmale gegeben sein, dass der Helfer ggf. so etwas wie Notwehr oder Nothilfe nachweisen kann. Aber das ist dann vielleicht eher ein Thema für eine juristische Abhandlung...
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